von Ella Gassert
Als der alte Mann bei Sonnenuntergang den Strand entlangging, sah er vor sich einen jungen Mann, der Seesterne aufhob und ins Meer warf. Nachdem er ihn schließlich eingeholt hatte, fragte er ihn, warum er das denn tue. Die Antwort war, dass die gestrandeten Seesterne sterben würden, wenn sie bis Sonnenaufgang hier liegen blieben. „Aber der Strand ist viele, viele Kilometer lang und tausende Seesterne liegen hier“, erwiderte der Alte. „Was macht es also für einen Unterschied, wenn Du Dich abmühst?“ Der junge Mann blickte auf den Seestern in seiner Hand und warf ihn in die rettenden Wellen. Dann meinte er: „Für diesen hier macht es einen Unterschied!“
Die Erzählung von William Ashburn ist dem einen oder anderen sicherlich nicht unbekannt. Mir ist sie vor einiger Zeit in einem Gottesdienst begegnet, in dessen Rahmen verschiedene kleine Hilfsprojekte in Dritte Welt Ländern vorgestellt wurden.
Nun, um auf die oben erwähnte Geschichte zurückzukommen: Die Gedanken, die der alte Mann angesichts des scheinbar sinnlosen Tuns des jungen Mannes äußert, kenne ich sehr wohl auch von mir. Denn wenn ich die unzähligen, völlig unüberschaubaren sozialen und ökologischen Probleme in der Welt betrachte, oder allein nur die komplexen Schwierigkeiten der Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung, dann stellt sich mir unwillkürlich die Frage: Können wir denn mit unseren begrenzten Möglichkeiten überhaupt irgendetwas ausrichten? Das wenige, zu dem ich in der Lage bin, kann doch nicht wirklich etwas bewirken – selbst wenn ich mich noch so sehr abmühe. Es gibt einfach zu viele „Seesterne“... Letztendlich wäre es doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Moment jedoch! Wechsele ich einmal die Perspektive und schlüpfe in die Rolle eines Seesterns, weiß ich sofort, dass es einen Unterschied macht, ob ich am Strand liegenbleibe und vertrockne oder zurück ins rettende Meer geworfen werde. Es ist geradezu von existentieller Bedeutung für mich. Ich selbst habe ja schon mehrfach die Erfahrung gemacht, dass mir erwiesene Hilfe „neues Leben eingehaucht“ hat.
Und so ist der junge Mann, der unbeeindruckt die Seesterne zurück ins Meer wirft, wohl die entscheidende Figur in der Geschichte. Er ist sich dessen bewusst, dass es für jeden einzelnen Seestern einen Unterschied macht. Er ist sich sicher: Sein Einsatz ist nicht vergebens. Damit kann er uns ermutigen und anspornen mitzumachen. Dann wird der Tropfen auf den heißen Stein vielleicht sogar der Anfang eines Regens.
So ganz nebenbei bemerkt: Gerade ist mir heute zum ersten Mal aufgefallen, dass unsere Badezimmertür mit einer Folie beklebt ist, auf der ein wunderschöner Strand mit herrlich blauem Meer abgebildet ist - und im Vordergrund liegt ein Seestern im weißen Sand ...
Comments